Fundstück des Tages:
„Vergessen Sie nicht, dass wir in einer Welt des Scheins leben, in der nichts so ist, wie es sich darbietet, und schon gar nicht so, wie es von ihm behauptet wird. Nehmen Sie einen beliebigen Satz, ob nun aus der Werbung oder den Nachrichten oder den offiziellen Verlautbarungen – können Sie, ohne zu zögern, behaupten, dass er stimmt? Gibt es überhaupt noch eine offiziell zugängige Information, die nicht manipuliert wurde, sei es nun von den Regierungsstellen, den Firmen oder den Interessengruppen?
Wohl noch nie haben sich so viele, so hochqualifizierte Leute damit befasst, die Wahrheit zu verschleiern oder wenigstens zu verdrehen: Die Vergangenheit hat uns eingeholt: Mundus vult decipi – ergo decipiatur!… Die Welt will betrogen sein – also betrügen wir sie! Wenn ich in den Nachrichten höre, dass heute Dienstag ist, sehe ich erstmal auf dem Kalender nach, ob es auch stimmt.“
Timothy Truckle, Privatdetektiv in Chicago
Gert Prokop, Die unglaublichen Kriminalfälle des Timothy Truckle, S. 381 (Printausgabe, Das Neue Berlin)
Man würde nicht denken, dass obiges Zitat aus einem Buch stammt, das vor über 30 Jahren in der DDR geschrieben wurde oder? Gert Prokops SF-Erzählungen sind (meiner unmaßgeblichen Meinung nach) die besten SF-Detektivgeschichten, die in der DDR je geschrieben wurden.
Bin zufällig auf die Neuausgabe dieser Erzählungen (ursprünglich in zwei Bänden) gestoßen und hab sie nochmal gelesen, da ich die schon mal in meiner frühen Jugend gelesen hatte und sie erstaunlicherweise nie vergessen habe.
Schauplatz dieser kurzweiligen Erzählungen ist eine fiktive Rest-USA, die von der (sozialistischen) Außenwelt des 21. Jahrhunderts völlig isoliert ist und sich fest im Griff der NSA sowie einer Handvoll superreicher Konzernbosse befindet.
Dieser semi-dystopische Gesellschaftsentwurf wirkt nach heutigen Maßstäben natürlich etwas ungewohnt (vielleicht auch nicht), ist aber mit einem liebevollen Blick auf die Amerikaner bzw. einem Augenzwinkern geschrieben und mit perfekt getarnter DDR-Gesellschaftskritik (z.B. bzgl. des Eingeschlossenseins der Amerikaner) gewürzt, obwohl ich Letzteres beim erstmaligen Lesen vor langer Zeit nicht so empfunden hatte, sondern jetzt erst im Nachhinein…
Obwohl Prokop diese Storys schon 1977 bzw. 1983 geschrieben hat, wirken die auch sprachlich nicht angestaubt und lesen sich irgendwie noch „zeitgemäß“. Das zeichnet eben gute Science Fiction aus. Ein echtes Meisterwerk und zu Unrecht vergessen. Kann man mal lesen, wer’s noch nicht kennt.