Die Letzten ihrer Art

„Hmm, diese Terraner  …“, murmelte der Necromonger, der als erster Wissenschaftsoffizier der anatomischen Abteilung auf dem schweren Raumkreuzer 33QW-Alpha seinen Dienst versah. Gerade setzte er sein Laserskalpell zu einem präzisen Schnitt auf der bleichen Haut des warmen, noch zuckenden Körpers an. „Man muss sich doch wundern, wie es eine Zivilisation solch primitiver Wesen überhaupt geschafft hat, so lange auf diesem Planeten zu existieren, ohne sich selbst auszulöschen. Ihren Heimatplaneten haben sie doch ziemlich umgekrempelt, um nicht zu sagen, zugemüllt und verwüstet. Die Qualität des genetischen Materials dieser humanoiden Kreaturen liegt auch unter unserem gewohnten Standard.“ In diesem Winkel der Galaxis scheint Vernunft zudem rar gesät zu sein, sponn er seinen Gedanken weiter. Könnte wohl eine Auswirkung des ungewöhnlichen Strahlungsspektrums der hiesigen Sonne sein, vielleicht hängt es auch mit fehlenden Spurenelementen oder Mineralien in den Böden oder atmosphärischen Besonderheiten zusammen. Nicht mal Quecksilbersümpfe gab es auf diesem räudigen Planeten. Er warf einen Blick auf die Werte auf dem Bildschirm. Ein hauptsächlich aus Stickstoff und Sauerstoff bestehendes Gemisch, dazu geringe Anteile von Argon und Kohlendioxid. Schon ungewöhnlich, eine Laune des Universums, die diese selbstzerstörerisch agierenden Säuger hier am Rand der bewohnten Sektoren hervorgebracht hat. „Nur noch einige letzte Präparate für meine zoologische Sammlung und die Datenkristalle mit den Aufzeichnungen ins Archiv einstellen; dann sind wir hier fertig.“ Es war nicht klar, ob er zu sich selbst oder zu der neben ihm stehenden hochgewachsenen Gestalt gesprochen hatte.

Der Necromonger führte mit der feinen Laserklinge einen langen Schnitt über Bauchdecke und Brustkorb aus. Nur ein ersticktes Wimmern war aus dem Mund des Terraners noch zu vernehmen. Etwas Blut, vermischt mit eitrigem Schleim trat an der Schnittfläche aus. Die Prozedur dauerte heute zu Ehren des hohen Besuchers länger als gewöhnlich. Bauch und Brustkorb lagen jetzt offen und gaben den Blick auf die leicht dampfenden inneren Organe frei. Das Oberlicht über dem Operationstisch verbreitete einen leicht bläulichen Schimmer. Für den Operateur ausreichend, um alle Einzelheiten im sichtbaren Spektrum wahrzunehmen, nicht zu grell, beruhigend. So war es ihm am angenehmsten; so konnte er sich besser auf die Details seiner Arbeit konzentrieren. Das Herz des Wesens pulsierte noch.

„Schwache Leistung. Minderwertige Probanden, die unser Explorationsteam auf der Planetenoberfläche eingesammelt hat. Diese humanoiden Exemplare weisen unzureichende Vitalwerte auf. Schade um die Mühe und den vergeudeten Treibstoff. Das humanoide Material, das wir im letzten Zyklus untersuchen konnten, hatte dagegen noch eine bessere Qualität; jene Säuger waren jedenfalls deutlich stärker und vitaler. Da hatten wir noch die leise Hoffnung, dass diese Terraner assimiliert werden können oder wenigstens teilweise brauchbar sein könnten, wofür auch immer … Das war aber möglicherweise auch eine andere Unterart dieser Spezies, jedenfalls ein völlig anderer Phänotyp. Sie können sich gern später einen der konservierten Körper der letzten Charge anschauen. Die stammten aber wohl aus einer anderen Region des Planeten. Das Erkundungsteam war da unzulässigerweise von einer gewissen genetischen Homogenität auf planetarer Ebene ausgegangen. Na wie auch immer, die hätten Sie mal sehen müssen, wie lange die noch gezappelt und gequiekt haben. Wir haben ja noch die Aufzeichnungen, sehr interessant übrigens, als wir in einem Falle den Kopf eines Probanden … aber gut, lassen wir das.“ Der Wissenschaftsoffizier unterbrach seinen Monolog und wandte sich nun dem neben ihm stehenden Purifier zu, der der heutigen Vivisektion beiwohnte und bisher keine Miene verzogen hatte. Die blutigen Innereien des Terraners boten einen selbst für ihn ungewohnten Anblick.
„Und was ist das hier?“ Der Purifier griff in den Bauchraum und zog eine Darmschlinge heraus, was mit erneut anschwellendem Stöhnen des sezierten Subjekts quittiert wurde. „Dieser Schlauch hier gehört sicher zum Verdauungstrakt, ja?“
„Ja, brauchen die auch. Die ernähren sich ja noch nicht von hochwertiger Nährlösung. Die absorbieren und verwerten alles: tierische und pflanzliche Nahrung, manche sollen sich sogar schon kannibalisch ernähren. Fressen alles, was sich eben noch so findet auf ihrem Planeten. Haben sich zum Glück noch nicht in andere Sonnensysteme ausgebreitet. Man hat zwar früher etwas Raumfahrt betrieben, aber danach hat offenbar eine degenerative Entwicklung eingesetzt.“
„Haben Sie das Übersetzungsmodul mal aktiviert? Was sagt es, das Exemplar hier?“ „Nichts von Belang, nur das übliche Gewimmer, eben das, was alle sagen. Fleht um Gnade, man solle es am Leben lassen, es werde alles tun, was man von ihm verlange … dieses hier sagt auch, es sei mächtig, eine einflussreiche Person, die uns von Nutzen sein könne; behauptet, es regiere irgendein bedeutendes Land auf irgendeinem Kontinent dieses erbärmlichen Müllplaneten, hält sich wohl für etwas ähnliches wie unser allmächtiger Herrscher, der Lord Marshal.“ Er lachte kurz auf und deutete eine Verbeugung an. „Wie würdelos. Hätte es doch besser geschwiegen.“ Der Purifier schaute sich die Geschlechtsorgane des Probanden an, die kurz zuvor amputiert und zu Konservierungszwecken bereits plastiniert worden waren. „Und tatsächlich keine Regenerationsfähigkeit, nicht mal im üblichen Bereich?“ Der Purifier richtete sich auf und schaute seinem Wissenschaftsoffizier in die holoptisch angeordneten Facettenaugen. „Rudimentär, mit Verlaub gesagt, Eure Magnifizenz, im Grunde gar nicht vorhanden. Nur eine gewisse Redundanz einiger innerer Organe ist gegeben, hat sich evolutionsgeschichtlich entwickelt, aber alles inkonsistent, nicht sehr robust. Und abgetrennte Gliedmaßen erneuern sich nicht, da wächst nichts nach, also wenn ich jetzt hier zur Veranschaulichung mal eine der Extremitäten sauber abtrenne…“ Ein langgezogener Schrei, gefolgt von lautem Stöhnen war zu vernehmen …
„Ja, dann bleibt das so, da regeneriert sich nichts. Kann auch nicht durch kybernetische Teile ersetzt werden, der Organismus ist auch sehr anfällig für Infektionen, die Exemplare sterben mir gewissermaßen unter den Krallen weg, schade um den ganzen Aufwand. Riecht auch nicht gut, wenn die ihre Körperflüssigkeiten und Exkremente jetzt während der Vivisektion ausscheiden. Jedenfalls eine ziemliche Sauerei.“ Der Necromonger blickte den Purifier erwartungsvoll an. „Zivilisatorischer Substandard. Die könnten wir dann höchstens noch zu Knochenmehl und Eiweißpulver verarbeiten oder als Frischfleischlieferanten für die nächstgelegene Ausbildungsbasis unserer Rekruten auf Centauri Prime nutzen. Aber dieses hier war schon etwas zu fett. Soll ich es noch weiter ausnehmen?“
„Zur Assimilation sind sie also nicht geeignet?“
„Keinesfalls. Assimilation? Eure Magnifizenz belieben zu scherzen. Sinnvollerweise nicht einsatzfähig in unseren Streitkräften, die meisten würden keine Woche im Außeneinsatz überleben. Man könnte vielleicht mit einem aufwendigen Nachzucht- und Ausleseprogramm der besten Exemplare nach einigen Generationen eine Stärkung des Genpools erreichen; da fände sich dann eine positive Anschlussverwendung als Nützlinge im leichten Dienst auf den unteren Decks unserer Transporter, aber … leider fehlt uns dafür das Budget.“
Der Purifier winkte ab. „Zu teuer, das würde der Lord Marshal auch nie genehmigen. Der Zeitplan gibt solche wissenschaftlichen Spielereien auch nicht her. Vielleicht später irgendwann. Zum Glück gibt es noch einige andere bewohnte Planeten in diesem entlegenen Teil der Galaxis, auf denen wir unseren Bedarf an Rekruten für die neue Offensive decken können.“
Er seufzte. „Was habe ich hier auch erwartet? Furianer etwa?“ Der Operateur ließ ein blechernes Lachen hören. Es klang gezwungen, unnatürlich. Der Purifier beachtete es nicht.
„Dann machen wir Schluss für heute. Konservieren Sie Ihre Präparate, und lassen Sie alles reinigen.“
„Es sind aus dieser Charge noch einige lebende Exemplare übrig, höchst ehrwürdiger Purifier. Ein buntes Sortiment, auch etliche jüngere Exemplare sind dabei. Fortpflanzungsfähiges Zuchtmaterial. Vielleicht schade drum. Sind ja dann wohl die Letzten ihrer Art…“
„Na gut, die nehmen wir vorerst mit und schicken sie erstmal in den Kälteschlaf. Aber nur, wenn noch einige Kryokapseln frei sind, ja. Platz ist zwar knapp, aber zur Sicherheit, man kann nie wissen, ob man mal für spätere Forschungen oder die biologische Kriegsführung ein paar Lebendexemplare dieses galaktischen Ungeziefers braucht. Dann bleibt uns nur noch, den Planeten vor unserem Abflug zu sterilisieren, wie es unsere Richtlinie zur galaktischen Hygiene vorsieht. Wollen wir mal der Evolution auf diesem Planeten eine neue Chance geben, aus dieser Sackgasse herauszukommen. Ich rede schon mal mit dem ersten Waffenoffizier, damit er die breitbandigen Desinfektionsstrahler hochfährt und die Aerosolcontainer in das Shuttle laden lässt. Ich sehe Sie dann in der Zentrale.“ Das humanoide Subjekt, das seinen letzten Atemzug getan hatte, lag jetzt still und unbeweglich auf dem Sektionstisch. Die restlichen Probanden, darunter der politische Berater und Regierungssprecher Peter Adamović und die junge Praktikantin Anna Evason, die in den angrenzenden Räumen ausharrten, ahnten noch nichts von ihrem Glück oder Unglück. Man hätte ohnehin nichts tun können. Alles war entschieden.

 

3 Gedanken zu “Die Letzten ihrer Art

  1. Marcel Grasnick 24. April 2016 / 14:32

    Hehe, zuviel Riddick gesehen? 😉 Necromonger kam mir gleich bekannt vor, passt aber irgendwie nicht zu einer Erkundungsmission. Wenn, dann hatten sie eher mit der geballten Kraft zugeschlagen. Wie dem auch immer sei…

    Ich habe mich oft gefragt, wie uns Ausserirdische sehen werden. Und unsere Superschlauen Wissenschaftler vermuten auf der Basis unseres begrenzten Verstandes ja, dass, wenn, dann Ausserirdische uns ähnlich sein müßten. Finde ich persönlich Humbug. Nur weil dir das Leben auf der Erde studieren und uns anmaßen, das Universum verstehen zu wollen aufgrund mathematischer Formeln, muss das nicht heißen, dass wir auch recht haben. Es gab da ein interessantes Buch von Neal Asher, „Prador Mond“. Genial geschrieben. Menschenfleisch als Leckerbissen für Krabbeltiere … Dummerweise hatten wieder die Menschen gewonnen.

    Erinnert mich zudem ein wenig an Douglas Adams, das mit der Erde wegputzen 😀

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    • citronimusprime 24. April 2016 / 18:10

      Ja, du hast Recht mit dem Verweis auf die Aggressivität der Necromonger. Diese kleine Begebenheit stammt dann offenbar aus einer anderen (vor den Riddick-Chroniken zu datierenden) Epoche der Necromonger-Ära (oder später); damals waren die offenbar noch nicht so stark radikalisiert und eher wehrhafte und hungrige Forscher … Also zeitliche Einordnung offen gelassen. Immer etwas schwierig, eine Abschrift einer fragmentarischen Aufzeichnung aus einem Datenkristall zu datieren… Vielleicht waren es auch Abtrünnige? Na ja, halt interessant, was einem so zugespielt wird von Plattformen wie Astroleak…

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      • citronimusprime 24. April 2016 / 20:55

        Ja, ich halte es ehrlich gesagt auch für recht unwahrscheinlich (wenn auch nicht unmöglich ;-)), dass uns vernunftbegabte Außerirdische, sollte es sie irgendwo und irgendwann geben oder gegeben haben, vom äußerlichen Erscheinungsbild oder von den Denkstrukturen her ähnlich sind. Unsere Fantasie kann da ja immer nur unsere eigene begrenzte gedankliche Welt und unser Wissen spiegeln, brechen, filtern, variieren. Daher enthalten die meisten SF- oder Alien-Geschichten immer auch Metaphern, Allegorien und projizieren im Grunde ein verzerrtes Spiegelbild unserer eigenen Vorstellungen in die Zukunft usw.
        Später am Abend:
        Aliens bemerken uns vielleicht auch gar nicht oder existieren in anderen Dimensionen, wo andere physikalische Gesetze gelten; oder – da Größe und Zeit relativ sind, erscheinen Planeten in deren Welt nur so groß wie kleinste Elementarteilchen oder Mikroben, und unser ganzes Universum ist nur eine (wachsende) Zelle (daher der Eindruck des sich ausdehnenden Universums) in einem gigantischen Alienkörper… und Millionen Jahre unserer Zeitrechnung entsprechen in der Zeit der Außeridischen vielleicht nur dem Bruchteil einer Sekunde. Oder das, was „sie“ sind, liegt außerhalb unserer Vorstellungskraft, es ist so unbegreiflich, dass man diese „absolute Wahrheit“ nicht erfassen und schon gar nicht in Worte oder Denkkonzepte einbetten kann – es …

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