Irgendwann …

Ist schon eine Weile her, aber irgendwann hab ich mal auf einen Schlag 1.000 Mark verloren. War ein kleines Vermögen für mich. Das Geld war der Lohn von einem Semesterferienjob im Sommer, als ich zeitweise noch zusätzlich gearbeitet hab – ein ganzer Monatslohn, den ich mir hatte bar auszahlen lassen. Lässig steckte ich das zusammengefaltete Bündel Scheine lose in meine linke Jackentasche, zog den Reißverschluss der Laufjacke (Billigmarke) zu und schwang mich in euphorischer Stimmung aufs Fahrrad. Als ich zu Hause ankam, war meine Jackentasche leer; das Geld war verschwunden. Hakelige, unzuverlässige Reißverschlüsse aus Kunststoff waren mir immer schon verdächtig. Bin dann die ganze Strecke nochmal im Schritt abgefahren, hab in alle Ecken und Rinnsteine geschaut, war aber zwecklos. Hab mich auch nach ehrlichen Findern umgehört, aber Fehlanzeige. Zu jener Zeit kam es noch nicht so oft vor, dass herrenlose Geldbündel, -scheine oder gefüllte Geldbörsen im Fundbüro abgegeben wurden.

Ich stellte mir dann vor, wie die Scheine vielleicht nacheinander auf Straße und Fußweg gesegelt sind und fremden Leuten einige glückliche Momente beschert haben. War ich nicht Pechvogel und Glücksbringer zugleich? Verständlicherweise konnte ich mich trotz dieser dialektischen Erkenntnis nicht mit meinem Verlust abfinden. Lediglich 50 Mark waren mir geblieben. Drei Scheine, die durch einen Riss in der Tasche nach innen in das Jackenfutter gerutscht waren: Zwei neue 20-Mark-Scheine und ein schon etwas abgegriffener, speckig wirkender 10-Mark-Schein. Ich verschenkte den 10-Mark-Schein an einen Bedürftigen an einer der Straßenecken vor unserem Wohnheim. Da war jemand, der das Geld nötiger brauchte als ich, dachte ich mir. Denn hätte ich das Geld dringender gebraucht, wäre ich sicherlich sorgsamer damit umgegangen oder? Die restlichen beiden Scheine steckte ich in meine Brieftasche. Am Tag darauf ging ich mit meinem Kumpel ** ein Bier trinken. Als ich zahlen wollte, merkte ich, dass man mir die restlichen 40 Mark gestohlen hatte. Jemand, der Rücken an Rücken am Tisch hinter mir gesessen hatte und recht schnell, wie uns im Nachhinein auffiel, wieder aufgebrochen war, muss mir in einem geeigneten Moment die letzten Geldscheine aus der Brieftasche, die jetzt in meiner Jacke steckte, gezogen haben, die über meiner Stuhllehne hing. Spitzenleistung. Mein Freund ** musste mir das Bier bezahlen, da ich nun vollkommen blank war. Nach dem ersten Schreck (und ungeachtet meiner Verärgerung) gestand ich mir ein, dass mir die Fingerfertigkeit des Diebes sehr imponierte, der ein Meister seines Fachs gewesen sein muss. Lediglich zaghafte Bewegungen und ein leichtes Verrücken des Stuhls hatte ich hinter mir bemerkt. Kreditkarten und Ausweis hatte er nicht angerührt, was aus operativ-taktischer Sicht ebenfalls auf eine wohl überlegte Vorgehensweise schließen ließ.
Zum Glück hatte ich den Löwenanteil meines Geldes bereits am Tag zuvor verloren. Verlieren fühlt sich besser an, als bestohlen zu werden.

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