In den letzten Tagen waren die Läufe unserer Gewehre nie erkaltet. Doch letztlich würde all unser Widerstand nichts nützen, auch die größten Opfer der mutigen Sioux-Krieger würden vergeblich sein, das ahnten wir. Nach all der Zeit hatten wir jedoch bis zu diesem Tage unsere Zuversicht noch nicht verloren. Ich hatte mich wie immer auf meinen 25-schüssigen Henry-Stutzen verlassen, der mir in Gefechten mit feindlichen Indsmen und Bütteln der vertragsbrüchigen Regierungsbehörden schon oft gute Dienste geleistet hatte. Indianer gingen stolz, ohne Jammern oder Wehklagen in die ewigen Jagdgründe ein, während die überlebenden Blauröcke, die zumeist in Überzahl oder aus dem Hinterhalt angegriffen hatten, uns anflehten, man möge sie am Leben lassen, sie hätten nur Befehle ausgeführt und ihren Job erledigen wollen. Half ihnen nichts. Hätten besser geschwiegen. Den Henry-Stutzen, diese vorzüglich gearbeitete und präzise schießende Waffe hatte mir einst dieser einsame Westmann überlassen, bevor er an einer Blutvergiftung starb, die er sich an einem rostigen Nagel eines Weidezauns zugezogen hatte. Ein Mann aus dem fernen Deutschland war er gewesen, so wie ich.
Gottlob war der Kampf einstweilen beendet. Man begann, die Verwundeten zu versorgen und die Gefallenen einzusammeln.
Wir rasteten, als es dunkel wurde: Watola, Unterhäuptling der Sioux, der Trapper, den man im Westen Old Fasthand nannte, und ich, der ich damals einen indianischen Namen trug, den man mit „der die Regenbogenforelle mit der Hand fängt“ übersetzen könnte. Wir befanden uns am Eingang eines mächtigen und weit ausgedehnten Talkessels, der ringsum von unbegehbaren Felswänden umschlossen war. Ein blätterreicher Saum von Büschen umrahmte die mit fettem Gras bewachsene, fast kreisrunde Fläche, auf der mehrere Gruppen von Pferden und Maultieren weideten, zwischen denen sich zahlreiche Hunde herumtrieben, die teils jener wolfsähnlichen Rasse angehörten, welche den Indianern ihre Wachhunde liefert, teils aber auch zu den kleinen, schnell fett werdenden Promenadenmischungen gehörten, deren Fleisch nächst dem des Panthers als der größte Leckerbissen gilt. Wir machten es uns also neben dem Feuer mit einem guten Stück Fleisch bequem. Old Fasthand öffnete das an seinem Hals hängende Futteral und entnahm demselben eine sorgsam darin verwahrte kurze Pfeife, welche er gemächlich mit einer Mischung aus bestem Virginia-Tabak und berauschenden Kräutern stopfte und dann in Brand steckte.
Der Mond warf sein fahles Licht über die vor uns ausgebreitete Weite; vor uns züngelten die blaugelb gesäumten Flammen des wärmenden Lagerfeuers empor, doch auch ohne Feuerschein hätte der Vollmond den Weg jedes Kriegers in der Prärie mehr als ausreichend ausgeleuchtet, während die Sterne am Firmament in dieser klaren Augustnacht jedem Trapper oder Indianer zuverlässige Orientierung boten.
Unser Weg hatte uns mitten durch das Gebiet feindlicher Stämme geführt, und jetzt, da die uns dabei drohenden Gefahren hinter uns lagen, konnten wir uns ausruhen und pflegen. Wir litten keinen Mangel; die Prärie und befreundete Stämme versorgten uns mit allem, was wir brauchten. Nur Feuerwasser war knapp. Jetzt eben ließ Old Fasthand den letzten Inhalt einer mitgenommenen Rumflasche in eine Blechtasse mit heißem Teewasser laufen und kostete mit sichtbarem Wohlbehagen den in diesen Breiten so seltenen Trank. Ich fühlte mich müde und matt.
Watola, der junge Kriegshäuptling der Sioux, dessen Name jagender Adler bedeutet, trat, von einem seiner Rundgänge zurückgekehrt, zum Feuer. Old Fasthand bot ihm einen dampfenden Becher an. „Möchte mein Bruder sich nicht ans Feuer setzen? Der Feind ist geschlagen, ihre Skalpe hängen an den Gürteln der siegreichen Sioux. Die Toten kehren nicht zurück.“
„Das Auge des Sioux steht immer offen; er traut nicht der Nacht, denn sie ist ein Weib.“
„Der wachsame Sioux muss kein Weib fürchten, weder des Nachts noch am Tage“, entgegnete ich. „Watola ist ein ruhmreicher Häuptling, der keinerlei Furcht kennt“, setzte ich hinzu.
„An Häuptlingen mangelt es uns nicht, nur an Kriegern“, sprach der Sioux-Häuptling mit ruhiger Stimme. Watola war der einzige mir bekannte Indsman, der in der Lage und willens war, sich gelegentlich eine lakonische oder gar spöttische Bemerkung zu erlauben. „Ebenso sind Medizinmänner, weise Ratgeber und schwatzhafte Weiber in unserem Volke überreichlich vertreten.“ Watola sprach langsam und formulierte seine Sätze deutlich. „Doch unsere Feinde, mögen sie noch so ehrlos und weibisch sein, sind bestens bewaffnet und so zahlreich wie die Sterne am Himmel, mein weißer Bruder“, setzte der Sioux hinzu, und deutete mit einer Kopfbewegung auf die eisig flimmernden Sterne. „Auf jeden Stern, den der beste Späher meines Stammes sieht, kommen unzählige andere, die niemand von uns mit bloßem Auge erspähen kann. Die Anführer derer, die uns unser Land nehmen, sprechen mit gespaltener Zunge und besitzen die Fähigkeit, die Hirne aller Bleichgesichter zu vergiften, über die sie gebieten. Es bleibt uns nur die Gewissheit, dass selbst die jetzt unaufhaltsame Flut unserer Feinde eines fernen Tages, lange nach dem Verschwinden unserer Völker, versiegen und gegen einen stärkeren oder noch zahlreicher auftretenden Gegner nicht bestehen wird. Ihre Lenden werden erschlaffen, und ihre letzte Brut wird schwach und wehrlos sein …“
Nach dieser für einen Indianer ziemlich langen und prophetisch anmutenden Äußerung nahm der Sioux-Krieger einen tiefen Schluck und trat wieder in das Dunkel zurück. Wir, die wir am Feuer verblieben waren, schwiegen betreten und führten die düsteren Gedanken unseres Freundes auf den Einfluss des Alkohols zurück, an den Indianer nicht gewöhnt sind …