Zum Stellenwert des Lärms

Der unvergessene Rolf Peter Sieferle schrieb vor einigen Jahren, kurz vor seinem Tod, in dem bislang wohl besten deutschsprachigen Werk zur Migrationsthematik wie folgt:

Ein wichtiges Element des „prole drift“ ist die Allgegenwart und hohe Wertschätzung des Lärms, sei er künstlich verursacht (»Musik«) oder handle es sich um bloßes Geschrei, etwa von Kindern, das unter besonderem Schutz des Staates steht. Hier wird eine wichtige Differenz zur älteren Kultur der Vornehmheit erkennbar. Diese schätzte die Stille, die Konzentration, die Selbstbeherrschung, während das Lärmen zum Merkmal des Pöbels gehörte. Schopenhauer hat im Lärm (etwa im überflüssigen Peitschenknallen) einen Angriff des nackten, unbeherrschten, vom »Willen« geprägten »Lebens« gegen die distanzierende »Vorstellung« erblickt. Er hat damit etwas fundamental Richtiges erkannt: Die Allgegenwart des Lärms, die Vernichtung der Stille, schneidet die Menschen gezielt von einer reflexiven Kultur ab, trennt sie von der Tradition und ihren »Texten« und liefert sie vollständig der vulgären Gegenwart aus. Viele Menschen bedürfen dann des Mediums Lärm, um überhaupt leben zu können. Sie füllen freiwillig ihre Umgebung mit Radio- und Fernsehgeschwätz oder mit »Musik«, um sich in ein Leben einzuschwingen, das keine Selbstdistanz mehr kennt.

Zitiert aus: Rolf Peter Sieferle: Das Migrationsproblem. Über die Unvereinbarkeit von Sozialstaat und Masseneinwanderung.

Treffend und präzise. Lärm tötet jeden sinnvollen Gedanken ab, schneidet jeden tieferen Gedankengang ab; ständige Beschallung durch TV und Radio macht eigene Gedanken völlig überflüssig und füllt als mediales Geblubber bei vielen Zeitgenossen diese seltsame geistige Leerstelle, die dem westlich entkernten, entwurzelten und entspiritualisierten Menschen so eigen ist. Die im urbanen Umfeld besonders nervtötende Geräuschkulisse (z. B. omnipräsenter Verkehrslärm), die die dröhnende Stille in seinem Inneren übertönen soll, braucht er gleichsam wie die Luft zum Atmen, um sich der Frage nach der Sinnlosigkeit (oder Schädlichkeit) seiner Existenz nicht mehr stellen zu müssen.  Permanente Lärmbeschallung, wie sie üblich und unvermeidbar geworden ist, erweist sich als integraler Bestandteil des früher im Blog schon erwähnten Kulturwandels – oder gar als Schritt auf dem Weg zur Schaffung eines „Systems der gänzlichen Verschmelzung von Mensch und Affe“ (Kommunismus;  lt. Michail Prischwin).

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