Putins Bärendienst …

Dieser Krieg in der Ukraine ist eine Katastrophe, und er wird kein einziges Problem lösen, nur neue schaffen. Wenn es vorher schon schlimm war, jetzt wird es noch schlimmer werden. Alle werden verlieren: Ukrainer, Russen und wir. Niemand wird gewinnen. Die einzigen, die von den negativen Auswirkungen unberührt bleiben und gestärkt daraus hervorgehen werden, sind die USA und China. Russland kann die Ukraine unter Aufbietung aller Kräfte bezwingen, eine Teilung erzwingen, fragt sich nur, zu welchem Preis. Klar ist, wer ihn bezahlen muss. Tausende russische und ukrainische Opfer für einen Streifen Land, der in weiten Teilen eher einer Mondwüste gleichen wird, Straßen, die wieder von ausgebrannten und zerschossenen Fahrzeug- und Panzerwracks gesäumt werden … Eine Tragödie. Militärisch ist den russischen Streitkräften nicht beizukommen, aber die Propagandaschlacht haben sie bereits verloren. Russland ist mit einem Schlag weltweit geächtet und ausgeschlossen. Moralische Gewinner werden so oder so die Ukrainer sein. Wer seine Heimat gegen einen Aggressor verteidigt, hat das Recht auf Selbstverteidigung. Die ethnischen Russen in den abgespaltenen Donbass-Regionen konnten sich auf ihr Selbstbestimmungsrecht als Volk berufen und sich für unabhängig erklären. Jedoch rechtfertigt dies nicht den Einmarsch der russischen Streitkräfte über diese Gebiete hinaus. Im Nachgang werden die Frontstaaten von den USA zu waffenstarrenden, unsinkbaren Flugzeugträgern hochgerüstet – die Nato wird jetzt erst recht ausgeweitet und gestärkt – die öffentliche Meinung im Westen dreht sich, denn Putin selbst hat den US-Kriegstreibern das beste Argument für eine russische Bedrohung geliefert. Eine Entwicklung, die Putin verhindern wollte, wird jetzt sogar noch beschleunigt. Putin hat die Nerven verloren und dem russischen Volk sowie allen Unterstützern und Sympathisanten im Westen einen Bärendienst erwiesen. Im Ausland werden Russen und sog. Russenversteher ab jetzt einen schweren Stand haben. Die komplexe Vorgeschichte des Konfliktes, die historischen Ursachen, die Putin in seiner 55-minütigen Ansprache thematisiert hat, die schwierige Lage der Russen im Donbass, die seit acht Jahren um ihr Selbstbestimmungsrecht kämpfen – all das rückt jetzt in den Hintergrund und wird in den Augen des Westens nichts mehr zählen, denn Putin hat sich für die Kriegsoption entschieden.  Es hätte kaum schlimmer kommen können.

Ich hatte ursprünglich nicht gedacht, dass Putin eine Intervention tatsächlich befehlen würde. Die Anerkennung der beiden Donbass-Republiken und die Sicherung ihrer Verwaltungsgrenzen hatte ich erwartet, mehr aber nicht. Mit diesem offenen Krieg, der trotz aller Friedensbeteuerungen vom Zaun gebrochen wurde, hat Putin dem Ansehen Russlands auf lange Zeit oder irreparablen Schaden zugefügt. Junge Soldaten werden sinnlos verheizt, zivile Opfer wird es (ungeachtet der Versprechen, sie schonen zu wollen) massig geben. Stichwort Eigendynamik. Neue Wunden werden aufgerissen, neue Konfliktlinien entstehen, alte Feindbilder werden wiederbelebt. Das kann man nicht gutheißen oder rechtfertigen. Möglicherweise wird ein neuer Eiserner Vorhang errichtet. Ich weiß nicht, warum Putin diesen Einmarsch befohlen hat. Es gibt diverse Vermutungen dazu. Es kann sich um einen fehlgeschlagenen Bluff gehandelt haben, wie ein Blogger namens Hadmut Danisch in einem Beitrag darlegte. Ich vermute hingegen, dass Putin fatalen Fehleinschätzungen bezüglich der Stärke und Standhaftigkeit der ukrainischen Streitkräfte aufgesessen ist oder von falschen Annahmen im Hinblick auf die Reaktion der ukrainischen Führung und der westlichen Öffentlichkeit ausging, als er den Angriff nach einigem Zaudern befahl. Putin ist fast 70 und wird (wie wir alle) nicht jünger, er ist weder ein begnadeter Diplomat noch ein auf Ausgleich bedachter Realpolitiker, der sich immer wieder geduldig um kleinste Fortschritte bemüht, sondern entstammt der Garde der spätsowjetischen beratungsresistenten Schreibtischoffiziere, die altem Machtdenken verhaftet sind und freihändig entscheiden. Eine Nachfolgeplanung ist nicht bekannt, so wollte er möglicherweise eine Lösung erzwingen, um Nägel mit Köpfen zu machen und keine ungeklärten Verhältnisse zu hinterlassen. Vielleicht hatte er erwartet, ukrainische Militärs würden gegen Selenski putschen oder es würde zu einer schnellen Kapitulation ohne größere Kampfhandlungen kommen. Daher hatte er vermutlich zu schwache Kräfte ohne Nachschubplanung einmarschieren lassen. Dies schließe ich auch daraus, dass Putin, wenn ich mich recht erinnere, am ersten oder zweiten Tag der Operation das ukrainische Militär aufgefordert hatte, die Waffen niederzulegen. Als sich der Widerstand als hartnäckiger erwies als gedacht, das Überraschungsmoment verpasst war und Selenski nicht flüchtete oder um Gnade winselte und fast der gesamte Westen sofort für die Seite der Ukrainer Partei ergriff, waren die Würfel im Grunde gefallen. Eine schnelle Verhandlungslösung war nicht mehr zu erwarten, ein Rückzug käme dem Eingeständnis einer Niederlage gleich, da hätte er sich gleich selbst die Kugel geben können – es blieb Putin nach eigenem Verständnis nur, die volle Militärmaschinerie in Gang zu setzen. Nichts wird mehr so sein, wie es war. Wir werden sehen …

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