In den letzten Tagen waren die Läufe unserer Gewehre nie erkaltet. Doch letztlich würde all unser Widerstand nichts nützen, auch die größten Opfer der mutigen Sioux-Krieger würden vergeblich sein, das ahnten wir. Nach all der Zeit hatten wir jedoch bis zu diesem Tage unsere Zuversicht noch nicht verloren. Ich hatte mich wie immer auf meinen 25-schüssigen Henry-Stutzen verlassen, der mir in Gefechten mit feindlichen Indsmen und Bütteln der vertragsbrüchigen Regierungsbehörden schon oft gute Dienste geleistet hatte. Indianer gingen stolz, ohne Jammern oder Wehklagen in die ewigen Jagdgründe ein, während die überlebenden Blauröcke, die zumeist in Überzahl oder aus dem Hinterhalt angegriffen hatten, uns anflehten, man möge sie am Leben lassen, sie hätten nur Befehle ausgeführt und ihren Job erledigen wollen. Half ihnen nichts. Hätten besser geschwiegen. Den Henry-Stutzen, diese vorzüglich gearbeitete und präzise schießende Waffe hatte mir einst dieser einsame Westmann überlassen, bevor er an einer Blutvergiftung starb, die er sich an einem rostigen Nagel eines Weidezauns zugezogen hatte. Ein Mann aus dem fernen Deutschland war er gewesen, so wie ich.
Weiterlesen
Fiktion
Dream Flight
Irgendetwas muss da gewesen sein, das mich aus dem Schlaf hochschrecken ließ. Reflexartig wischte ich mir ein paar Schweißtropfen von der Stirn und drehte das Lüftungsventil über meinem Kopf etwas weiter auf. Nein, ich hatte höchstens gedöst, nicht richtig geschlafen. Für ein erholsames Nickerchen waren mir die engen Flugzeugsitze sowieso immer zu unbequem. Aber irgendwas hatte ich doch geträumt, irgendwelchen Blödsinn. Was war das gleich? Hmm, es ging um etwas, das mein Vater mir noch hatte sagen wollen, bevor er damals … Wie eine verwehende Spur im Sand war da eine verlöschende Erinnerung in meinem Bewusstsein, doch das Ende des Traumfadens entglitt mir, sobald ich danach greifen wollte.
Das beruhigend summende, gelegentlich auf- und abschwellende Geräusch der leistungsstarken Triebwerke des Jumbos hatte eine einschläfernde Wirkung auf mich. Ich fühlte ich mich jetzt erst recht müde und zerschlagen. Wir waren früh gestartet, hatten pünktlich abgehoben, aber der Flug war zu früh für mich. Irgendwie ist es immer zu früh. „War da was?“, warf ich meinem korpulenten Sitznachbarn auf der linken Seite fragend zu, der einen der von vielen begehrten Fensterplätze bekommen hatte, von denen man direkt auf die Tragflächen schauen kann. Ich halte mich von Fensterplätzen fern, soweit es geht. Zu viel schädliche UV-Strahlung in großer Flughöhe. Mein Sitznachbar, ein feister Business- oder Vertriebstyp, würdigte mich keiner Antwort, sondern starrte nur wie gebannt durch das rundliche Polycarbonatfenster nach draußen. Abgesehen von der niedrig stehenden Wolkendecke sah man ab der Spitze der Tragflächen bis zum Horizont praktisch nichts. Auf den Tragflächen glaubte ich eine dünne Eisschicht zu erkennen. Nichts, was Anlass zur Sorge geben müsste. „Kann ich bitte nen Tomatensaft bekommen?“, wandte ich mich an die vorbeihuschende schwarzhaarige Flugbegleiterin. Keine Antwort. Sie hatte es wohl eilig gehabt oder mich gar nicht gehört. Wortlos verschwand sie hinter dem Vorhang in der ersten Klasse.
Weiterlesen
Dryland
Der hohe Wellengang machte der abgehalfterten Yacht schwer zu schaffen. Auf hoher See war sie von heftigem Wetter überrascht worden und hatte mit schweren Sturmböen von weit über 40 Knoten Windgeschwindigkeit zu kämpfen. Zu allem Übel schien jetzt auch noch der alte Dieselmotor zu versagen, der doch das Boot seit vielen Jahren zuverlässig angetrieben hatte. Er stotterte ab und zu und verlor spürbar an Leistung. Vielleicht hätte man auf die letzte planmäßige Wartung nicht aus Kostengründen verzichten sollen oder dem Boot auch mal eine Generalüberholung gönnen sollen. Egal, dachte die Frau in der Kabine. Nun war der Sturm eben da. Gegen die Natur war man ohnehin machtlos. Wenn der Bug in die Wellentäler abtauchte, spritzte schäumende Gicht an die beschlagenen Plexiglasscheiben der Kabine. Vom überspülten Deck aus floss ein allmählich stärker werdendes Rinnsal, den Gesetzen der Schwerkraft gehorchend, über die Treppe hinab. Unerträglich, seufzte die Frau und hielt dem erschöpften Kellner wortlos ihr geleertes Sektglas hin. Das letzte übrig gebliebene Besatzungsmitglied schenkte ihr noch ein letztes Mal wortlos nach und entfernte sich dann hastig, um seine Schwimmweste anzulegen. Er blickte sich nicht um. Eine unerträgliche Vorstellung, dachte die Frau, die einst Schauspielerin gewesen war und sich dann für einen Wechsel in die Politik entschieden hatte. Nein, die Vorstellung, nur noch Mineralwasser aus Flaschen trinken zu müssen, das um ein Vielfaches teurer als Trinkwasser aus der Leitung war, musste für jede engagierte Frau mit sozialem Gewissen empörend, einfach unerträglich sein. Solch ein Land wäre nicht mehr ihr Land, setzte sie ihren Gedankengang wie in einer eingefahrenen Schleife fort. Das wäre Dryland, ein eintöniges graues Land, in dem nur noch Sukkulenten, Kakteen und speziell angepasste Kartoffelsorten gedeihen würden und in dem die Menschen schlussendlich verdursten würden. Das durfte die couragierte Zivilgesellschaft nicht zulassen. Weiterlesen
Missverstanden
Natürlich war das kindisch, ich weiß. Kein Grund zum Ausrasten. Sicher ließ man sich früher leichter provozieren, man war ja jünger. Dazu kam aber immer dieses arrogante Grinsen, das einen auf die Palme brachte und das Fass zum Überlaufen gewissermaßen. Nicht, dass ich das entschuldigen will. Aus heutiger Sicht einfach lächerlich. Ein nichtiger Anlass, nur ein Missverständnis, über das man hätte reden können. Normalerweise war ich auch nicht nachtragend. Man hätte sich einigen können, ein Angebot unterbreiten, Konflikte gütlich, auf dem Diskurswege lösen und das tägliche Zusammenleben friedlich aushandeln, so wie es heute im Sozialkundeunterricht gelehrt und von den Medien empfohlen wird. Armlänge Abstand und so weiter, das hilft natürlich enorm. Wusste man aber damals nicht. Wir waren noch nicht so weit. Und doch erfüllte es mich mit Genugtuung. Oder Zufriedenheit. Nein, es ließe sich eher als ein in jeder Hinsicht befreiendes Gefühl beschreiben. Es fühlte sich an, als ob eine Last von mir genommen wurde. Ja, irgendwie schon. So muss ich mich gefühlt haben. Weiterlesen
Bericht eines Kleindarstellers
Gut, dass ich das bin, was ich bin. Zu etwas anderem hätte ich nicht getaugt.
Jaime Lannister (der „Königsmörder“), Game of Thrones
Hört mal auf zu jammern, Leute. Ist doch würdelos. Dies passt euch nicht, das passt euch auch nicht. Tragt euer Los mit Fassung, und zieht euer Ding durch. Klar, das sind keine leichten Zeiten jetzt. Für niemanden. Ich halte mich hier beispielsweise mit einigen Statistenrollen über Wasser, seit ich aus der Redaktion raus bin. Weiterlesen
Blatt XXXVI (Abschrift)
36. Tag des 225. Zyklus n. Z.
Liebes Tagebuch,
entschuldige, dass ich schon ein paar Tage nichts mehr geschrieben habe, aber ich war tagsüber zu schwach, und abends hatte ich wenig Lust zum Schreiben. Bei flackerndem Kerzenlicht ermüden meine Augen schneller, und das abendliche Schreiben im kalten Zimmer strengt mich so an, dass ich manchmal Kopfschmerzen bekomme. Weiterlesen
Dinge mit den Händen tun
Dinge zu verkaufen, die niemand wirklich braucht, ist schon recht schwierig. Bekommt man aber auch hin. Klappt meist über den Preis. Die höchste Kunst des Verkaufens ist es aber, jemanden gegen seinen Willen zum Kauf von etwas zu überreden, das für ihn nutzlos oder schädlich ist. Wer es schafft, langlaufende Rentensparverträge an 80-jährige Teilzeitjobber, Kühlschränke an arktische Eskimos, Sonnenstudios in der Sahara oder buddhistische Gebetsmühlen in Saudi-Arabien dauerhaft erfolgreich und gewinnbringend zu verkaufen, ohne seinen Kopf zu verlieren, vor dem könnte man den Hut ziehen. Die besten Verkäufer sind daher auch jene, die es vermögen, einen potenziellen Käufer, also ein zufällig gewähltes Opfer, derart zu manipulieren und mittels einer perfiden Masche, die zugleich eine psychologisch geschickt austarierte und auf instinktiv erkannte Schwächen des Opfers abgestimmte Verkaufsstrategie ist, so umzudrehen, dass es, das Opferlamm, gegen seine ureigenen Interessen handelt und seinen Kopf in freudiger Erwartung auf den Richtblock legt. So muss verkauft werden, Freunde. Leider gibt es solche Verkäufer schon lange nicht mehr. Haben sich wohl zur Ruhe gesetzt oder sind in die Politik gewechselt. Heutzutage erregen viele Verkäufer eher Mitleid. Man ahnt, wie sie leiden. So dachte ich, als es an meiner Tür klingelte. Ein Vertreter in einem dunklen Anzug, zerknittertes Aussehen, weißgraue Haare, Typ Willy Loman aus Arthur Millers Sozialdrama. Last Exit Strukturvertrieb stand auf seiner faltigen Stirn geschrieben. Unsicherheit spiegelte sich in seinen müden Augen. Fluch des Vertriebs statt Image des Erfolgs, das man in provisionsorientierten Jobs stets ausstrahlen muss.
Eine Umfrage wolle er machen im Auftrag einer Firma mit einem wohlklingenden englischen Namen. Völlig unverbindlich, natürlich, was sonst. Seine erste Frage galt der Zahl der berufstätigen Personen in meinem Haushalt, übliche Einstiegsfrage, dann wird das Einkommen abgecheckt. Für wie viel Umsatz bist du gut? Weiterlesen
Integration!
Der überschwere Explorationskreuzer Coriolan schwebte antriebslos im tiefschwarzen Raum vor Pluto. Das von seinem äußeren Erscheinungsbild her beeindruckende Flaggschiff der Frachterflotte des zweitgrößten terranischen Konzerns, der US Deep Space Mining Corporation (DSMC), war gerade erst von einer längeren Erkundungs- und Fördermission zurückgekommen. Die beiden Tachyonentriebwerke waren bereits heruntergefahren und aus Sicherheitsgründen in den Leerlaufmodus geschaltet worden. Entwichenes Kondensat hatte einen zentimeterdicken Eispanzer auf den Triebswerksabdeckungen gebildet. Seitlich aus dem Rumpf ausgefahrene Steuerungstriebwerke feuerten von Zeit zu Zeit kurze computergesteuerte Impulse, um den umgebauten Kreuzer, der streng genommen ein Frachter war, präzise auf der vorgeschriebenen Position im Orbit von Pluto zu halten. Nach dem Rücksprung von einer der konzerneigenen Kolonien, die sich in der Nähe des Doppelsterns Epsilon Lyrae im Sternbild Leier befand, bezog der Frachter seinen Platz in der vierten Warteschleife der Erdanflugkontrolle. Es blieb noch genug Zeit, um vor dem letzten Rücksprung in den Erdorbit alle lästigen, aber notwendigen Formalitäten und Quarantäne-, Reinigungs- oder Desinfektionsarbeiten auszuführen. Es konnte schließlich noch einige Tage dauern, bevor man die Freigabe für den Anflug zu den heimatlichen Konzerndocks erhielt. Bei dieser auch vom Weltrat subventionierten Explorationsmission war es vordergründig um die Erkundung von Erzvorkommen gegangen, um die Suche nach und Förderung von seltenen Erden und Mineralien, die für das weitere Wachstum der terranischen Ökonomie dieses lichten Jahrtausends unabdingbar waren. Alle verfügbaren Ladebuchten und Container waren bis zum Bersten gefüllt mit hochreinem Tantal, Osmium, Platin, Meitnerium und sogar dem seltenen, erst kürzlich entdeckten Merkelium, das sich als unentbehrlich für die Fertigung von hoch leistungsfähigen Androidhirnen erwiesen hatte.
Noch ahnte es niemand, aber schon bald sollte die Besatzung des Raumschiffs, so wie auch später die Öffentlichkeit auf der Erde am eigenen Leibe erfahren, dass diese Expedition auch noch einen anderen, speziellen Auftrag hatte. Weiterlesen
Damals, als wir nett waren …
„Du warst doch immer so ein netter Junge.“ Klar, das stimmte ja auch, Mutter. Aber komischerweise oder besser auf unerklärliche Weise änderte sich das irgendwann. Alles ändert sich, irgendwann, das wissen wir. Fortschritt heißt Veränderung, haben wir auch gelernt. Ist auch gut so. Und so kam alles, wie es kommen musste.
*** Weiterlesen
Die Letzten ihrer Art
„Hmm, diese Terraner …“, murmelte der Necromonger, der als erster Wissenschaftsoffizier der anatomischen Abteilung auf dem schweren Raumkreuzer 33QW-Alpha seinen Dienst versah. Gerade setzte er sein Laserskalpell zu einem präzisen Schnitt auf der bleichen Haut des warmen, noch zuckenden Körpers an. „Man muss sich doch wundern, wie es eine Zivilisation solch primitiver Wesen überhaupt geschafft hat, so lange auf diesem Planeten zu existieren, ohne sich selbst auszulöschen. Ihren Heimatplaneten haben sie doch ziemlich umgekrempelt, um nicht zu sagen, zugemüllt und verwüstet. Die Qualität des genetischen Materials dieser humanoiden Kreaturen liegt auch unter unserem gewohnten Standard.“ In diesem Winkel der Galaxis scheint Vernunft zudem rar gesät zu sein, sponn er seinen Gedanken weiter. Könnte wohl eine Auswirkung des ungewöhnlichen Strahlungsspektrums der hiesigen Sonne sein, vielleicht hängt es auch mit fehlenden Spurenelementen oder Mineralien in den Böden oder atmosphärischen Besonderheiten zusammen. Nicht mal Quecksilbersümpfe gab es auf diesem räudigen Planeten. Er warf einen Blick auf die Werte auf dem Bildschirm. Ein hauptsächlich aus Stickstoff und Sauerstoff bestehendes Gemisch, dazu geringe Anteile von Argon und Kohlendioxid. Schon ungewöhnlich, eine Laune des Universums, die diese selbstzerstörerisch agierenden Säuger hier am Rand der bewohnten Sektoren hervorgebracht hat. „Nur noch einige letzte Präparate für meine zoologische Sammlung und die Datenkristalle mit den Aufzeichnungen ins Archiv einstellen; dann sind wir hier fertig.“ Es war nicht klar, ob er zu sich selbst oder zu der neben ihm stehenden hochgewachsenen Gestalt gesprochen hatte. Weiterlesen