An diese alte Pumpe kann ich mich noch gut erinnern. Kam mir vor einigen Tagen zufällig wieder in den Sinn. Auf dem Rasen des Seegrundstücks meines Großvaters stand eine alte Hand- oder Schwengelpumpe. Eine von Hand zu bedienende Pumpe aus schwerem Grauguss, im Rasen eingelassen, ca. 1,5 m hoch, sorgsam mit Rostschutz versehen und mit einer Farbe lackiert, die damals eben gerade verfügbar gewesen sein muss. Der Schwengel – das ist das Ding, an dem man ziehen und drücken muss, um Wasser hochzupumpen, also ein Stiel, der so ähnlich geformt ist wie ein Baseballschläger, mit dem man sich heute auf der Straße verteidigt – so ist es vielleicht verständlich – also der Pumpenstiel war aus gemasertem, rissigen Hartholz. Längsseits war dieser Stiel von einem millimeterbreiten Spalt durchzogen. Ich fasste den Griff oft an und zog probeweise an dem Handschwengel, aber da war kein Widerstand – der Kolben zog nur Luft und förderte keinen Tropfen Wasser. Die Pumpe kam mir schon damals wie ein Relikt vor, denn meine Großeltern hatten auf ihrem opulenten Wochenendgrundstück am See schon einen Trinkwasseranschluss. Fließend Wasser war also immer reichlich da, um Rasen und Hecke zu wässern oder die kleinen Gründlinge und Barsche über Nacht frisch zu halten, die Opa als Lebendköder fürs Hechtangeln am Abend vorher mit der Senke aus dem See geholt hatte. Heute verboten: Fische als Lebendköder, schlimme Sache für die armen Fische, zumal da bis zum Angeln schon ein Teil der Köderfische in dem Leitungswasser verreckt war, was Opa die Nacht über direkt aus dem Schlauch in die mit einem Netz bedeckte Zinkwanne laufen ließ, wo es dann über den Rand schwappte und im Rasen versickerte. Auch für Fische ging’s also damals grausam zu im alten Jahrtausend. Weiterlesen
Erinnerung
Zur Frage der Erdnüsse
Als Schüler arbeitete ich in den Ferien einmal einige Wochen in einer Erdnussfabrik. Hab ich das schon mal erzählt? Weiterlesen
Die Welt in der wir leb(t)en …
Einmal, so kann ich mich erinnern, hatten wir vertretungsweise einen anderen als unseren gewohnten Dozenten für Marxismus-Leninismus. Wissenschaftlicher Kommunismus, so hieß das Fach, und die frisch geklonten Dozenten kamen vom Lehrstuhl für Gesellschaftswissenschaften. Einige schienen recht umgänglich zu sein, schlau auch, wagten gelegentlich einen Blick hinter die Fassade, verpackten Kritik rhetorisch geschickt in einer gesunden Portion Zynismus. Dieser Mann jedenfalls, nicht mehr ganz jung, im besten Alter – daran kann ich mich noch so gut erinnern, weil wir den nur ein einziges Mal im Seminar sahen, danach tauchte der aus irgendeinem Grund nie wieder auf – der erzählte irgendwann beiläufig, dass er neulich mal von diesem ominösen George Orwell den Roman „1984“ gelesen habe. Bei der Lektüre sei ihm klargeworden, dass bei uns in der sozialistischen Gesellschaft eigentlich alles ganz genau so sei, wie Orwell es damals schon beschrieben habe, nur dass wir nicht den ganzen Tag lang im Blaumann bzw. in Einheitskleidung herumlaufen würden. Kurze Totenstille im Raum, man hätte wohl die sprichwörtliche Stecknadel fallen hören. Na ja, kaum jemand kannte den besagten Roman; Orwell bekam man als Normalbürger nicht zu lesen, aber als Gesellschaftswissenschaftler hatte man auch Zugang zum Giftschrank. Ich kannte Orwell auch nur dem Namen nach; man hatte eigentlich nur irgendwann gesagt bekommen oder nebenbei gehört, welch ein übles, den Sozialismus diffamierendes Machwerk 1984 sei. Dieser Seminarleiter ließ seiner Äußerung wohlweislich keine Erklärung folgen und wechselte das Thema, ließ uns also im Ungewissen darüber, ob seine Einlassung wirklich systemkritisch gemeint war, denn man hätte da wohlmeinend durchaus behaupten können, dass er die orwellsche Realität für unerlässlich hält und befürwortet. Vielleicht war’s ja auch so. Daher mein Rat im Rückblick auf eine kommode Diktatur: Wer nicht sagt, was er meint, kann nicht meinen, was er sagt. Andererseits gilt auch: Nichts erklären, denn was man ohne Erklärung nicht versteht, versteht man auch nicht mit Erklärung, wie auch der von mir hochgeschätzte Autor Haruki Murakami in „1Q84“ schrieb …
Nennt mich Ismael … (I)
Oder meinetwegen Max. Spielt aber eigentlich keine Rolle.
Als wir Kinder waren, nahm uns unser Großvater oft mit auf den See hinaus zum Angeln. Opa besaß noch einen dieser alten schweren Angelkähne, ein eisernes Ungetüm, komplett aus Stahlplatten gefertigt, mit dicken Schweißwülsten an den Nahtstellen und Rändern, unhandlich, schwer zu rudern und ziemlich pflegeintensiv. Wie es seine Art war, pflegte Großvater auch diesen alten Eisenkahn sehr sorgfältig, zog ihn regelmäßig im Herbst aus dem Wasser und lagerte ihn mit der Unterseite nach oben am Ufer; im Frühjahr schliff er Roststellen ab und verpasste dem Bootskörper einen neuen Anstrich. Erst trug er eine Rostschutzfarbe oder Grundierung auf, danach wurde die Oberfläche mit einer wetterbeständigen blauen Farblackierung versehen und versiegelt. Der Blauton variierte mit den Jahren, war mal heller und mal dunkler. Wenn im Jahresverlauf etwas Farbe abblätterte, kamen darunter liegende alte Farbschichten zum Vorschein, die an Jahresringe von Bäumen erinnerten. Das Boot muss ziemlich alt gewesen sein, wahrscheinlich älter als der von ihm befahrene See, der erst in den 30er Jahren durch einsickerndes Grundwasser nach intensivem Kiesabbau entstanden ist. Der Kahn war schwer, aber nicht plump zu nennen, sah sogar ästhetisch, formschön aus. Massiver dicker Stahl, an keiner Stelle durchgerostet. Ich habe Großvater nie gefragt, woher er den Kahn eigentlich hatte. Ich hing sehr an diesem stählernen Boot, obwohl es im Unterschied zu den modernen und leichteren Plastikkähnen schwer zu rudern war. Der Eisenkahn reagierte nur schwerfällig auf Steuerversuche, und man konnte sich auch leicht die Finger an den Halterungen der Ruderblätter einklemmen. Er lag tief im Wasser und ließ sich ohne fremde Hilfe kaum und wenn überhaupt, dann nur mit provisorischen Betonrollen aus dem flachen Wasser auf den Bootsablageplatz am nahen Ufer ziehen. Um das Boot mit der am Bug befestigten Kette an Land zu ziehen, brauchte man eigentlich zwei Männer. Heute bräuchte man noch mehr. Mein Großvater schaffte es allein. Dennoch liebte ich dieses schwere Boot. Solange es möglich war, ruderte ich später bei jeder sich bietenden Gelegenheit, manchmal auch bei schwerem Wellengang, allein auf den See hinaus. Von allein wäre es wohl nie gesunken.
Irgendwann – das war aber erst viel später – leistete sich Großvater ein neues Ruderboot aus glasfaserverstärktem Kunststoff, eines, das geräumiger, handlicher, bequemer und sicherer war. Das benutzte er dann aber nur noch eine Saison lang …
Missverstanden
Natürlich war das kindisch, ich weiß. Kein Grund zum Ausrasten. Sicher ließ man sich früher leichter provozieren, man war ja jünger. Dazu kam aber immer dieses arrogante Grinsen, das einen auf die Palme brachte und das Fass zum Überlaufen gewissermaßen. Nicht, dass ich das entschuldigen will. Aus heutiger Sicht einfach lächerlich. Ein nichtiger Anlass, nur ein Missverständnis, über das man hätte reden können. Normalerweise war ich auch nicht nachtragend. Man hätte sich einigen können, ein Angebot unterbreiten, Konflikte gütlich, auf dem Diskurswege lösen und das tägliche Zusammenleben friedlich aushandeln, so wie es heute im Sozialkundeunterricht gelehrt und von den Medien empfohlen wird. Armlänge Abstand und so weiter, das hilft natürlich enorm. Wusste man aber damals nicht. Wir waren noch nicht so weit. Und doch erfüllte es mich mit Genugtuung. Oder Zufriedenheit. Nein, es ließe sich eher als ein in jeder Hinsicht befreiendes Gefühl beschreiben. Es fühlte sich an, als ob eine Last von mir genommen wurde. Ja, irgendwie schon. So muss ich mich gefühlt haben. Weiterlesen
Mostly sunny, some clouds
Gemüse aßen wir eigentlich immer gern. Iss, sagte Mutter. Ist gesund, ist genug da. Na ja, nicht genug, aber reichlich. Vitamine sind unheimlich wichtig, meinte sie ja immer und schwafelte noch weiter, wie sie immer schwafelte. Zitronen mochte ich sowieso, die gab es immer reichlich. Okay, Zitrone ist Obst, Zitrusfrucht eben. Zurück zum Gemüse. Paprika war eher nicht so mein Ding. Aber Tomaten, Gurken, Salat gab’s auch genug. Die Versorgungslage war bedarfsdeckend. Besonders gut aber in der letzten Aprilwoche und Anfang Mai 1986. Die ersten sonnigen Tage. Ich glaub’, es hatte auch ab und zu mal geregnet. So ein angenehmer, belebender Frühlingsregen war das, den man jetzt auf der Haut spüren möchte. Was spotteten wir über unseren alten Physiklehrer, den man gebückt durch die Salatreihen seines Schrebergartens schleichen sah. Mit einem Geigerzähler, mit dem der alte Trottel die angebliche Radioaktivität messen wollte. Voll das Opfer war der. Schlappgelacht haben wir uns über solche Idioten, die da dieser westlichen Propaganda auf den Leim gegangen waren. Na wegen des Brandes im Reaktorblock 4 damals. Dabei gab’s doch gar keine gesundheitlichen Gefahren. Die Lehrer klärten uns da auf. Sonst hätte uns die Regierung natürlich was gesagt, ich meine, wenn da ein Risiko bestanden hätte. Plumpe antisowjetische Hetze vom Klassenfeind, von Seiten der reaktionären Kreise der BRD war das. Unbegründete Ängste wollte man schüren. Ja, auch damals schon. Bei einigen Leuten verfing diese Stimmungsmache, sollte man auch nicht verschweigen. Die leichtgläubigen Angstbürger wollten das gute Gemüse nicht essen, die frische Milch nicht trinken. Faselten da was von latenter Strahlenbelastung und Radioaktivität in Nahrungsmitteln, eben nur was sie so aufgeschnappt hatten bei den Hetzern und Panikmachern im reaktionären Westen. Haha, Strahlung. Wegen eines unbedeutenden Störfalls in einem Kraftwerk in der fernen Ukraine. Und das wurde dann von den BRD-Nazis instrumentalisiert. Huhu, die Todesstrahlen des Dr. Mabuse, witzelten wir, wenn eine unserer Mitschülerinnen ihren unbegründeten Ängsten Ausdruck verlieh. Uns hatte man ja genau erklärt, wie harmlos das alles war. Unser Staatsbürgerkundelehrer, der wusste das. War immer top informiert der Mann. Ein Brand, der wird gelöscht, Schwamm drüber, Deckel drauf. Bissel Strahlung ist immer, völlig normal, tut gar nichts. Ja, wir hatten Spaß damals und freuten uns über den strahlenden Sieger der Friedensfahrt. Olaf Ludwig, der machte das Rennen. Wow, was man alles noch weiß, wa? Im Frühsommer fuhr unsere Parallelklasse übrigens zur Abschlussfahrt nach Kiew. Von uns fuhren auch einige mit, nur die Besten. Ich aber nicht. Nö. Das hatte aber nichts damit zu tun. Natürlich nicht.
Ergänzung
Als Kind wohnte ich im Wiesenweg. Der Wiesenweg war tatsächlich eine Straße inmitten von Wiesen. Die dortige Gegend bzw. der betreffende Stadtteil war dünn besiedelt, und es gab unberührte Naturwiesen auf fettem Bördeboden, so weit das Auge reichte. Bis zum Horizont (was wahrscheinlich nicht stimmte und nur meiner kindlich-knirpsigen Wahrnehmung geschuldet war) erstreckte sich das tiefe Grün der saftigen Wiesen, auf denen sich Grashüpfer, Schmetterlinge, Lurche und anderes Getier tummelten. In einem Graben schwammen glückliche Kaulquappen, die zu quakenden Fröschen heranreifen durften, sofern sie nicht gefressen oder gefangen wurden. Später, als die Wiesen verschwanden und grauen Betonblöcken weichen mussten, wurde der Wiesenweg umbenannt. Die Straße bekam den Namen eines örtlichen Heimatkundlers. Zum Glück war der gute Mann extremer politischer Umtriebe unverdächtig, daher trägt die Straße auch heute noch seinen Namen. Jeden Tag mussten wir als brave Schulkinder mit unseren schweren Ranzen etliche Kilometer zur Schule laufen, bei Wind und Wetter. Schmerzhaft schnitten sich die alten Lederriemen nach einiger Zeit in unsere Schultern ein. Später bekamen wir dann unsere Hoverboards; das Schweben machte vieles leichter …
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Irgendwann …
Ist schon eine Weile her, aber irgendwann hab ich mal auf einen Schlag 1.000 Mark verloren. War ein kleines Vermögen für mich. Das Geld war der Lohn von einem Semesterferienjob im Sommer, als ich zeitweise noch zusätzlich gearbeitet hab – ein ganzer Monatslohn, den ich mir hatte bar auszahlen lassen. Lässig steckte ich das zusammengefaltete Bündel Scheine lose in meine linke Jackentasche, zog den Reißverschluss der Laufjacke (Billigmarke) zu und schwang mich in euphorischer Stimmung aufs Fahrrad. Als ich zu Hause ankam, war meine Jackentasche leer; das Geld war verschwunden. Hakelige, unzuverlässige Reißverschlüsse aus Kunststoff waren mir immer schon verdächtig. Bin dann die ganze Strecke nochmal im Schritt abgefahren, hab in alle Ecken und Rinnsteine geschaut, war aber zwecklos. Hab mich auch nach ehrlichen Findern umgehört, aber Fehlanzeige. Zu jener Zeit kam es noch nicht so oft vor, dass herrenlose Geldbündel, -scheine oder gefüllte Geldbörsen im Fundbüro abgegeben wurden. Weiterlesen
Einfach nur mitfahren
Er wolle Beifahrer werden, schrieb mal vor vielen Jahren einer meiner Mitschüler, als wir zu Beginn eines Schuljahres unsere Berufswünsche aufschreiben mussten. Beifahrer zu werden, sei sein innigster Wunsch, denn dieser Aufgabe fühle er sich gewachsen. Vorsichtig ausgedrückt, zählte er nicht unbedingt zu den beliebtesten Schülern. War auch keiner der hellsten Köpfe in unserer Klasse, aber zumindest ehrlich, doch das war er. Alle lachten wir, als unser Klassenlehrer die Liste mit den notierten Berufswünschen durchging und dabei wohl irgendeinen spöttischen Kommentar abließ.
Jedenfalls sprach sich die Beifahrergeschichte im Laufe des Tages an der Schule herum, und in der großen Hofpause kamen die älteren Schüler auf dem Schulhof auf uns zu und fragten: „Wo iss’n der Blödmann, der Beifahrer werden will?“
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Der Tag danach
Als Kinder zogen wir am Neujahrstag durch die Straßen unserer verschlafenen Kleinstadt und suchten nach nicht gezündeten Knallern und allen möglichen Feuerwerkskörpern, die noch nicht ganz ausgebrannt waren. Es gab damals erstaunlich viele Blindgänger und Knaller, die noch Schwarzpulver enthielten. Die zündeten wir an und freuten uns, wenn es zischte und die Knaller doch noch explodierten. Es war der Nervenkitzel oder der Kick, wie man heute eher sagen würde. Aus den überall herumliegenden Raketenstielen bastelten wir nagelbewehrte Pfeile für unsere Flitzbögen, mit denen wir andere Kinder beschossen. Statt Nägel mit Köpfen zu machen, versuchten wir, Köpfe mit Nägeln zu spicken. Wir trafen aber meistens nicht, glaube ich. Ob es heute auch noch so viele Blindgänger gibt? Oder nicht gezündete Knaller, Knallköpfe, deren Knall man noch nicht gehört hat? In der ARD läuft jetzt ein Tatort mit Til Schweiger, den alle gucken. Ein Tatort läuft eigentlich immer irgendwo. Deutschland ist Tatortland. Vertraute, dröge Fernsehlandschaft. Ich sehe Tils Tatort nicht. Natürlich nicht, denn ich schreibe hier. Und das ist gut so. Oder besser so.