Besitzt du noch, oder teilst du schon?

Betrachtungen zur „Sharing Economy“

In letzter Zeit fallen mir bei meinen gelegentlichen Besuchen der Online-Präsenzen einiger Zeitungen und Blogs wie Jubelarien verfasste Artikel auf, in denen voller Begeisterung und Euphorie die Vorteile der „Sharing Economy“ angepriesen werden. Diese, daran lassen einige Autoren keinen Zweifel, werde die grundlegende Einstellung der Gesellschaft zum Eigentum verändern und schließlich zu einer Art Bewusstseinsveränderung führen. Der künftige Konsument werde somit weniger Wert auf den Besitz von Gebrauchsgütern legen, sondern sich damit begnügen, diese Güter je nach Bedarf gemeinschaftlich zu nutzen.

Ein oft zitiertes Beispiel ist die ungenutzt herumliegende Bohrmaschine, die sich der Student in der Nachbarschaft gegen ein kleines Entgelt ausleihen kann, oder auch die private Wohnung, die man zeitweise an Urlauber untervermietet. Gleichfalls kann man sein Privatauto, das die meiste Zeit des Tages ohnehin ungenutzt auf der Straße stehe, fahrzeuglosen Zeitgenossen gegen einen Obolus zur Nutzung überlassen. Selbst überflüssige Lebensmittel lassen sich bereits per Internet-Foodsharing an hungrige User abgeben.

Eine Gesellschaft, in der der freie Zugang zu Gütern das Streben nach Besitz und Eigentum ablöse, werde eine gerechtere, nachhaltigere und effizientere Wirtschaftsform hervorbringen, so lautet zumindest der Grundtenor vieler sich im Internet tummelnder Apologeten der Sharing Economy. Um so besser, wenn man mit solchen weltverbesserischen Träumereien gleich einige potenzielle Nutzer auf ein verlinktes Vermietungsportal locken kann.

Während manche Kommentatoren, z. B. Meike Lorenzen in der Wirtschaftswoche, den Aufstieg der Sharing Economy als „gigantisches Phänomen“ sehen, „das unsere Gesellschaft zusammenführt“, drohen Akteure der Branche, z. B. der Mitbegründer des Vermietungsportals airbnb, Gebbia, bereits gänzlich die Bodenhaftung zu verlieren und sehen den durch ihr Unternehmen angeblich mit ausgelösten Wandel in seiner geschichtlichen Bedeutung gar auf einer Ebene mit der industriellen Revolution.

Nun muss man fairerweise zugestehen, dass viele Autoren auch darauf verweisen, dass die Form des Teilens, Tauschens und der gemeinschaftlichen Nutzung von Gütern und Leistungen nicht auf den Geistesblitz einiger internetaffiner Nerds zurückgeht, sondern bereits seit Anbeginn der Menschheit innerhalb sozialer Gemeinschaften wie selbstverständlich praktiziert wird.

Dennoch stößt mich der mediale Hype ab, mit dem uns mit überschäumender Begeisterung diese an sich altbewährte, in den virtuellen Raum des Internet übertragene Form sozialer Interaktion zwischen Wirtschaftssubjekten als Aufbruch in eine neue, weniger materiell orientierte Gesellschaftsform verkauft werden soll.

Nun will ich auch nicht kleinkariert und launig darauf verweisen, dass es vielleicht sinnvoller wäre, sich ohnehin irgendwann notwendige Anschaffungen wie eine Bohrmaschine oder einen Akkuschrauber für ca. 15 bis 20 Euro im Baumarkt um die Ecke zu kaufen, als ein Gerät vielleicht sogar mehrmals im Jahr für vielleicht 5 Euro von privat zu mieten und dazu noch Anfahrtswege, Versicherungskosten oder Vermittlungsgebühren in Kauf zu nehmen oder sich über einen schwachen Akku zu ärgern…

Ich möchte die Sinnhaftigkeit der einzelnen Angebote nicht in Frage stellen, da eine gemeinschaftliche Nutzung im Einzelfall durchaus eine gute und wirtschaftliche Alternative zum Kauf darstellen kann.

Der Autor selbst gehörte bereits Anfang der 90er Jahre als Mitglied in einem Carsharing-Verein und als eifriger Nutzer einer Mitfahrzentrale gewissermaßen zu den Vorreitern der Sharing Economy (ohne damals diesen Begriff gekannt zu haben). Da damals das Internet noch nicht als allgemein gebräuchliches Kommunikationsmittel und Vertriebskanal akzeptiert war, wiesen damalige Sharing-Angebote gegenüber den heutigen Webportalen zwangsläufig Beschränkungen in Bezug auf ihre Reichweite und Kapazität auf.

Dennoch bin ich auch heute noch nicht der Auffassung, dass diese an sich überaus vernünftigen und für den Konsumenten oft auch wirtschaftlich sinnvollen Angebote und Geschäftsmodelle grundlegende gesellschaftliche Umwälzungen hervorbringen werden.

Ganz im Gegenteil denke ich, dass dadurch die althergebrachte Schichtung der Gesellschaft nach Vermögen und Einkommen keinesfalls überwunden, sondern höchstens zementiert wird: in Besitzende, die zudem Einnahmen aus der Vermietung ihres Eigentumsgegenstände erzielen, und in entgeltpflichtig Nutzende, die an die Besitzenden zahlen und von ihnen abhängig sind.

Voranstellen muss man, dass unter dem Oberbegriff „Sharing Economy“ oder „Shareconomy“ unterschiedlichste Aktivitäten und Geschäftsmodelle zusammengefasst werden, die auf einer webgestützten Zusammenarbeit oder gemeinsamen Nutzung von Gütern und Dienstleistungen basieren, z. B. gemeinsames, verteiltes Arbeiten in webgestützten Projekten, Kleinanzeigenportale, Auktionsplattformen, soziale Netzwerke, Peer-to-Peer-Marktplätze bzw. Tauschbörsen, Musikportale, private Vermietungsangebote, Carsharing-Portale, Mitfahrzentralen usw.

Abgesehen von löblichen Initiativen, bei denen z. B. per Wikipedia Wissen im Internet geteilt, also der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt wird, beschränken sich gängige Auffassungen vom „Teilen“ auf das reine Versenden von Links oder Verweisen auf Angebote fremder Urheber oder deren Einbindung in eigene Webseiten. Zudem sind ein Großteil der unter dem neuen Öko-Label der Sharing-Economy angepriesenen Geschäftsmodelle lediglich provisionspflichtige private Kleinvermietungen, deren Geschäftsgrundlage und Erfolg erst durch die flächendeckende Verfügbarkeit der Infrastruktur des World Wide Web ermöglicht wurde.

Als ich zu Beginn der 90er Jahre Mitglied eines Carsharing-Vereins wurde, geschah dies vorwiegend aus wirtschaftlichen Erwägungen. Ich konnte und wollte mir mit meinem geringen Einkommen schlicht und ergreifend noch kein eigenes Auto leisten, war jedoch auf größtmögliche Mobilität angewiesen. Obwohl auch Umwelterwägungen eine Rolle spielten, waren diese sekundär. Carsharing war für mich in erster Linie ein Kompromiss, kein ideologisches Bekenntnis.

So bekam ich dann bald auch die Nachteile einer kollektiven Nutzung fremden Eigentums zu spüren: Die Fahrzeuge wurden teilweise verdreckt, zuweilen auch verbeult oder zerkratzt zurückgegeben. Wie auch die Theorie der Verfügungsrechte impliziert, waren letztlich eigentumslose Nutzer nicht ausreichend motiviert, durch schonenden und sparsamen Gebrauch der Fahrzeuge dazu beizutragen, das Eigentum zu erhalten. Höhere Reparatur-, Verschleiß- und Versicherungskosten trugen letztlich dazu bei, dass der Carsharing-Verein nicht rentabel war und seine Pforten schließen musste.

Eigene Carsharing-Netze werden heute auch von Autokonzernen wie Daimler oder BMW betrieben und gezielt als Marketing-Instrument eingesetzt. Ob diese Carsharing-Netze rentabel sind, dürfte daher zweitrangig sein. Man nutzt das ökologisch positiv besetzte Image des Carsharing und versucht auf diese Weise, künftige Käuferschichten „anzufüttern“, indem man eine Markenbindung schafft und hofft, dass sich der junge Carsharing-Nutzer in einigen Jahren mit gestiegenem Einkommen für ein Automobil der gewohnten Marke entscheidet.

Auch in der DDR gab es Formen einer „Sharing Economy“, etwa durch informelle Nachbarschaftshilfen und das Ausleihen knapper Güter und Geräte im Familien- und Freundeskreis – dies war jedoch durch die Mangelwirtschaft bedingt, während die grundlegenden Ursachen für den Erfolg der Sharing-Portale in der heutigen Zeit eher in gesunkenen Einkommen und geringer Kaufkraft der Generation der 20- bis 30-jährigen sowie in der Verbreitung des Internet zu suchen ist.

Wer sich von Praktikum zu Praktikum hangelt und von ein paar hundert Euro im Monat lebt, muss sich notgedrungen Alternativen zum Eigentumserwerb suchen, um seine Bedürfnisse befriedigen zu können. Dies ermöglichen die Sharing-Portale.

Sobald das Einkommen jedoch steigt, wird man anstelle der kollektiven entgeltpflichtigen Nutzung wohl wieder eher den Erwerb von Eigentum bevorzugen und auf die Seite der Besitzenden wechseln.

Nur Privateigentum ermöglicht letztlich die freie Verfügungsgewalt über Güter. Gleichwohl steht es dem Eigentümer natürlich frei, sein Eigentum anderen Nutzern entgeltpflichtig zur Verfügung zu stellen – nur ändert dies eigentlich nichts am grundlegenden Gegensatz zwischen den „haves“ und den „have-nots“. Der Besitzlose bezahlt den Besitzenden für eine zeitweilige Nutzung.

Es handelt sich um normale Vermietungsgeschäfte, die nur fragmentiert und von einer zentralisierten gewerblichen Ebene mittels zwischengeschalteter Online-Marktplätze und -Portale auf dezentrale private Ebenen verlagert werden.

Anstelle von Hotels, Mietwagenfirmen und Verleihagenturen treten nun Privatpersonen direkt als Verleiher auf, was auch zu neuen Spannungen auf umkämpften Märkten führen kann. Mancherorts wie in Berlin bieten private Nutzer der Plattform Airbnb ihre Wohnungen an Urlauber und Touristen an und treten in direkte Konkurrenz zu Hotels.

Auch diesbezügliche Sicherheitsrisiken sollten nicht verschwiegen werden, z. B. eine fehlende Sorgfalt beim Gebrauch der genutzten Gegenstände; die bei der privaten Vermietung und Übergabe z. B. von Wohnraum an fremde Kunden fehlende Sicherheitsdistanz und das Risiko von Beschädigungen und Verschmutzung von Wohnungen; zudem wird ein Nutzer, der z. B. über eine Foodsharing-Plattform vor der Abreise in den Urlaub den verzehrbaren Inhalt seines Kühlschranks gegen geringes Entgelt anbietet, während seiner bekannt gegebenen Abwesenheit möglicherweise einem erhöhten Einbruchsrisiko unterliegen.

Dem aufgrund des höheren Missbrauchs- und Betrugsrisikos fehlenden Vertrauen versucht man über künstlich geknüpfte soziale Netze und virtuelle Freundeskreise entgegenzuwirken. Auf virtuellem Wege wird somit ein Vertrauenssurrogat aufgebaut, über dessen Tragfähigkeit man geteilter Meinung sein kann.

Man geht hierbei davon aus, dass Personen, die sich untereinander zumindest per Internet kennen oder über gemeinsame Bekannte indirekt auf sozialen Webplattformen verbunden sind, Hemmungen haben, einander zu betrügen oder zu übervorteilen.

Nachteilig dürfte auch sein, dass regelmäßig erzielte Einnahmen aus derartigen Kleinvermietungen über kurz oder lang von den Finanzbehörden mit ziemlicher Sicherheit als steuerpflichtige gewerbliche Einnahmen eingestuft werden. Angesichts der bereits heute schon existenten Vernetzung und jederzeit möglichen Anzapfung der Datenbestände z. B. von Auktionsplattformen seitens der Finanzbehörden dürften die Finanzämter auch private Sharing-Portale bald als neue steuerliche Schröpfquelle entdecken.

Fazit: Bei der Preisung der unbestrittenen Vorteile einer gemeinschaftlichen Nutzung à la „Sharing Economy“ sollte man auch Nachteile, Risiken und Wirtschaftlichkeit für den einzelnen Nutzer nicht aus dem Blick verlieren.

Dennoch denke ich, dass auf der kollektiven Nutzung von Privateigentum basierende Geschäftsmodelle weiteren Zulauf erfahren werden. Als begünstigende Faktoren hierfür sehe ich die sinkende Kaufkraft und zunehmende Verarmung, insbesondere der jungen Generation in Europa, die weitere Ausbreitung der Internetkultur und Akzeptanz sozialer Netzwerke, geschicktes Marketing kapitalstarker Investoren sowie Nachhaltigkeitserwägungen bei einkommensstärkeren Bevölkerungsschichten.

Quellen: Wirtschaftswoche: Besitzen ist out – Teilen ist in
Netzwirtschaft: Airbnb und die Sharing Economy

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